Karl-Heinz Witte

Der Goliath-Fotograf

Solides Handwerk, gute Ausrüstung und künstlerisches Können zeichneten die Berufsfotografen der Autoindustrie aus. Der Spreeathener Karl-Heinz Witte war einer von ihnen. Aber Witte als Lloyd-Fotograf abzustempeln, würde seinem Lebenswerk nicht gerecht werden. 


Geboren wurde er am 11. Juli 1912 in Liegnitz, der ehemaligen Hauptstadt der Provinz Niederschlesien, das seit 1945 zu Polen gehört. 1915 siedelte die Familie nach Berlin um. Sein Vater, Berufsoffizier in der Reichswehr, sollte für den Stummfilm „Fridericus Rex - Schicksalswende“ (1923) den Komparsen das Marschieren, die Kehrtwende und die weiteren militärischen Formalitäten beibringen. Die Universum Film AG (UFA) hatte anfänglich ihre Studios in Tempelhof und ab Anfang der 20er-Jahre in Neubabelsberg, das sich zum Zentrum des deutschen Films entwickelte. Dorthin musste Vater Witte, um Friedrichs Film-Garde zu drillen. Er nahm seinen Filius häufig mit. So bekam Karl-Heinz schon in jungen Jahren Einblick in die Filmproduktion. Trotz der faszinierenden Welt der großartigen Kulissen, der Stars und der Scheinwerfer antwortete er bei der Abitursprüfung auf die Frage „was er denn werden wolle?“ kurz und knapp: „Landwirt!“. Doch es kam anders.

1930 fing er bei der UFA als Kameramann-Lehrling an. Zu der Zeit entstanden gerade die großen Unterhaltungsfilme „Die Drei von der Tankstelle“ (Lilian Harvey, Willy Fritsch, Heinz Rühmann, Olga Tschechowa u.a.) und „F.P.1 antwortet nicht“ mit Hans Albers. Als ausgebildeter Kameramann drehte Witte dann ab 1935 Kultur-, Lehr-, Spiel- und Werbefilme für diverse Produktionen.

1937 kam er für drei Monate als Kriegsberichter zur „Legion Condor“, die Hitler zur Unterstützung von General Franco gegen die spanische Regierung im Bürgerkrieg einsetzte. Im II. Weltkriegs setzte man Witte als Film-Berichterstatter für die Wochenschau bei der Luftwaffe ein. Mit der Kamera war Leutnant Witte beim Überfall auf Polen, in Norwegen sowie in Ägypten dabei und geriet in lebensgefährliche Situationen. Er überlebte Abstürze sowie Notlandungen im Partisanengebiet und wurde ausgezeichnet. Gegen Ende des Krieges versuchte er sich aus Prag nach Berlin durchzuschlagen. In Tschenstochau nahmen ihn Amerikaner fest und lieferten ihn mit anderen Kriegsgefangenen an die Russen aus. Ein düsteres Kapitel begann für ihn: 4½ Jahre sowjetische Gefangenschaft in 22 Lagern von Moskau bis Krasnodar/Sibirien. Aus diesem Grund sprach Karl-Heinz Witte bis zum Lebensende sehr verbittert über Amerikaner, was eigentlich nicht seinem freundlichen und optimistischen Wesen entsprach. 

Nach seiner Entlassung im Dezember 1949 verschlug es den völlig abgemagerten Ex-Soldaten nach Bremen, wo er seine spätere Ehefrau Irmgard kennenlernte und wo er wieder Fuß fassen konnte. Irmgard, Hauptbuchhalterin in einer großen Druckerei, finanzierte den Kauf einer professionellen Fotoausrüstung (Leica Kleinbildkamera, Linhoff Plattenkamera), Dunkelkammer-Equipment und eine 35 mm-Arriflex-Filmkamera mit ihren Ersparnissen und auch mit einem „Existenzgründungsdarlehn für Spätheimkehrer“ in Höhe von 4.500 DM. So ausgestattet knüpfte er erste Kontakte zu den jungen Bremer Automobilfabriken Goliath Werk GmbH und Lloyd Maschinenfabrik GmbH, von denen er auch erste Aufträge erhielt. Am 18. Oktober 1950 erfolgte seine Gewerbeeintragung für „Film- und Fotoherstellung“ in der Schwachhauser Heerstraße 7. Kurze Zeit später firmierte das kleine Unternehmen unter der Bezeichnung „Lloyd-Film“.

1951 produzierte Witte für den Bremer Senat den Verkehrserziehungsfilm „Mit dem Fahrrad durch die Stadt“ und ein Jahr später begann Radio Bremen mit Fernsehberichten. Karl-Heinz Witte war als Erster mit seinen Filmerfahrungen dabei. 

Zwei Jahre später war Hochzeit mit Irmgard und das Ehepaar eröffnete ein großes Fotolabor in der Rembertistraße 31. Nun hatte man auch angestellte Laboranten und Fotografen. Doch die Industrie-Kundschaft wollte häufig den Chef selber haben und sich nicht mit den Mitarbeitern zufrieden geben. Auch Goliath und Lloyd waren solche Kunden. Daher bekam Witte stets das neueste Automodell und ging damit auf Reisen, meist in den sonnigen Süden, um gute Werbeaufnahmen zu machen. Zurück in Bremen hatte man genug zu tun. Tag und Nacht entwickelte man im Labor nun Großfotos für die Presse und die Automobilfabriken. 

Auch die bekannten Filme der Lloyd Motoren Werke „Gestatten mein Name ist Lloyd“ (Mai 1954) und „50.000 x Lloyd“ (Juli 1954) stammen von Karl-Heinz Witte, obwohl die Filmerei nach seinen Angaben erst 1957 wieder richtig anfing. Dokumentationsthemen, wie „Ist die Kirche reich?“, „Über und unter uns Nacht“ (für die Lufthansa), Marokko, Mille Miglia 1958 (für die Carl F.W. Borgward GmbH), standen im Vordergrund. Aber auch Filme mit Heinz Erhardt drehte Witte ab. 1963 zeichnete man den regen Kameramann für seinen Film „Außenseiter der Menschheit“ mit dem begehrten Adolf-Grimme-Preis aus. Es folgten weitere Filme für die BBC, über den Carneval in Rio, den Bau der Pipeline nach Triest (Oscar für Kameraführung) usw. Nach dem Start des Bremer Regionalfernsehens 1960 drehte er viele kleine Filme, Feuilletons und aktuelle Berichte. So auch für „Buten und Binnen“. Zum seltenen Jubiläum „50 Jahre an der Kamera“ im April 1982 gratulierten der Bremer Senat, Kollegen, Kunden und Regisseure. Auch als er 1984 die Arriflex aus der Hand legte, hörte das Filmen für ihn nicht auf. Bis zum 90. Lebensjahr ging es mit der Video-Kamera auf Weltreisen.

Ende der 60er Jahre lieh Karl-Heinz Witte sein gesamtes Fotoarchiv mit Aufnahmen von Goliath- und Lloyd-Wagen dem Sohn von Carl F.W. Borgward für ein geplantes Buch. Peter Borgward gab das Witte-Archiv und sehr viele Aufnahmen des Borgward-Fotografen Richleske aus der Hand und erhielt später nur den Richleske-Teil zurück. Seit dem galten für Karl-Heinz Witte die Negative als verschollen. Doch im Frühjahr 2004 tauchten erste Negative bei Ebay im Internet auf. Der Lloyd-Fan Ralf Kiese konnte die Lloyd-Negative ersteigern und das Archiv somit sichern. Doch Karl-Heinz Witte erlebte das nicht mehr. Er starb am 14. Mai 2004. 

Die ausschließlichen Nutzungsrechte an den Filmen und Fotografien von Karl-Heinz Witte liegen bei Peter Kurze.

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